Die Dreigroschenoper

Premiere:  28.05.2011 - Freilichtbühne Greven - Reckenfeld

Grevener Zeitung v. 30.05.2011
"Furioser Start der Dreigroschenoper"

Greven. Eine weiße Wand steht mitten im Wald. Das ist schon das erste Symbol: Künstlichkeit gegen Natur. Die Wand hat Klemens Hergemöller für „Die Dreigroschenoper“ auf die Freilichtbühne Reckenfeld gebaut.

Mehr Kulisse gibt es nicht. Mehr braucht es auch nicht, denn Hergemöller, Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion, lässt seine Darsteller expressiv spielen. Bertold Brecht hätte seine Freude gehabt. Mit der ersten Premiere der Saison ist der Freilichtbühne etwas Seltenes gelungen. Aus dem Meer von leichter Freilichtbühnenunterhaltung ragt diese Produktion wie ein Leuchtturm hervor.

Genussvoll

Seine Gefühle seiner Frau und seiner Tochter gegenüber sind vom Geld bestimmt. Gattin Celia (Viola Niepel) hängt ebenfalls am Geld, dann an der Flasche und am wenigsten an Tochter Polly (Britta Schümchen). Diese lernt schnell, dass Gefühle in der Geschäftswelt fehl am Platz sind. Sie heiratet den Meisterdieb Mackie Messer (Manfred Hagemann) aus Liebe, doch die Kälte der weißen Wand färbt auch auf sie ab. Britta Schümchens Polly Peachum ist ohnehin kein naives Töchterlein.

Liebesdienerei

Ihre Liebedienerei trieft vor Ironie, ihre Wutausbrüche lassen Publikum und Bühne für Sekundenbruchteile erstarren. Manfred Hagemann ist ein aalglatter Mackie Messer mit weißem Anzug und Glatze. Viola Niepels Mrs. Peachum darf angetrunken für ein wenig Komik sorgen. Ohne Rückgrat Stefan Erdmann als Polizeichef Tiger Brown ist erwartungsgemäß rückgratlos, Christina Gauselmann gibt als Spelunken-Jenny eher die Geschäftsfrau als die Puffmutter. Heimlicher Star des Stückes ist Sebastian Hausmann, denn er spielt gleich vier Rollen, darf mit der Ballade von Mackie Messer das bekannteste Stück singen und ansonsten wie ein kleiner gemeiner Geist über die Bühne schleichen. Großer Pluspunkt ist das achtköpfige Dreigroschen-Orchester, das unter der Leitung von Pianistin Stephanie Rave die Musik von Kurt Weill wie ein Uhrwerk ticken lässt. Unbedingt sehenswert.

von DIRK JAEHNER


Westfälische Nachrichten v. 30.05.2011
"Eine wunderbare Moritat"

Reckenfeld. Brecht mag unter kommerziellen Aspekten ein Risiko sein, aber mit der grandiosen Premiere der „Dreigroschenoper“ bewies die Freilichtbühne Reckenfeld am Samstag einmal mehr ihren Qualitätsanspruch. Denn anders als andere Bühnen, die sich mit ihren ohne Zweifel gut gemachten Musical-Aufführungen manchmal allzu sehr dem Zeitgeist angepasst haben, überraschen die Reckenfelder immer wieder mit herausragenden Produktionen.

Das Ensemble hat sich mit der „Dreigroschenoper“ von Bertold Brecht mit der Musik von Kurt Weill einer großen Herausforderung gestellt. Die besonderen Vorgaben für die instrumentale Aufführung konnten dank der versierten musikalischen Leitung von Stephanie Rave bestens umgesetzt werden. Sie konnte als renommierte Pianistin, Sängerin und jahrelanges Mitglied des Theater Reduta ihre ganzen Erfahrungen einbringen. Ihr zur Seite hatte sie quasi ein Salonorchester mit professionellen Musikern, so dass die mit Elementen aus Jazz, Tango, Blues und Jahrmarktsmusik angereicherten Partien ihre ganze teils ironisch Wirkung zeigen konnten.

Die Regie war bei Klemens Hergemöller bestens aufgehoben. Er schuf in dieser Inszenierung eine packende Umsetzung des altbekannten Stoffes. In dem spartanischen und vielleicht deshalb so wirkungsvollen Bühnenbild konnte man Raum und Zeit vergessen, sich ganz von dem Geschehen auf der Bühne einfangen lassen.

Angeregt durch die Erfolge der „Beggar´s Opera“ von John Gay schuf Bertold Brecht zusammen mit Kurt Weill keine durchkomponierte Oper, sondern ein politisch engagiertes Theaterstück mit jeweils abgeschlossenen Gesangsnummern. Dieses Werk kann von seinem musikalisch-künstlerischen Ansatz vom Ensemble der Freilichtbühne adäquat dargeboten werden, es ist ja nicht für Opernsänger geschrieben, sondern für singende Schauspieler. Mit ihren langjährigen Erfahrungen auf diesem Gebiet können die Akteure sowohl solistisch als auch in den großen Ensemble-Szenen überzeugen.

Manfred Hagemann als Macheath, genannt Meckie Messer, erobert charmant jedes Frauenherz, treibt bravourös sein gewalttätiges Unwesen als führender Verbrecher im Londoner Stadtteil Soho. Toni Röhig als sein Gegenspieler Jonathan Jeremiah Peachum agiert majestätisch mit dem Habitus eines beherrschenden Bettler-Königs. Sinnlich intrigant und mit wunderbarer Stimme gesegnet erlebt man Britta Schümchen als Polly Peachum. Mit einem leichten Hang zum Alkohol zieht Viola Niepel als Celia Peachum ihre intriganten Fäden, Situationskomik vermischt sich bei ihr mit perfekt eingesetzter Dramatik. Auch Stefan Erdmann als Polizeichef wirkt als Tiger Brown wunderbar britisch trocken. Als Spelunken-Jenny kann Christina Gausemann ins Rotlicht-Milieu entführen, wo die Huren von Turnbridge so manchen Mann betören. Sebastian Horstmann hat gleich vier Rollen übernommen, wechselt mit Esprit und in markanter Weise zwischen dem Konstabler Smith, dem Pastor Kimball, dem Bettler Filch und dem Moritatensänger.

All die großen Lieder von der „Moritat von Meckie Messer“, der „Seeräuberjenny“, dem „Kanonensong“, der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ bis zur „Zuhälterballade“ erklingen bei dieser Inszenierung der Freilichtbühne in inspirierender Art, beim grandiosen „Eifersuchtsduett“ erlebt das Publikum einen leidenschaftlich ausgefochtenen Kampf zweier Frauen um einen Mann. Fazit also nach einem spannenden Theaterabend: Mit dieser „Dreigroschenoper“ hat die Freilichtbühne einen Zugang zum Werk von Bertold Brecht geschaffen, der bewegt und dem Anspruch des Werkes mehr als gerecht wird.

von Axel Engels